Anne B. Radge – Das Lügenhaus (die Neshov-Trilogie Buch 1)

Originaltitel : Berlinderproplene

Meine Bewertung : 6,5/10

Der Plot:

Eine drückende Stimmung, in diesem skandinavischen Roman der uns in ein norwegisches Bauernhaus führt in dem wir die Familie Neshov kennenlernen, die allerdings nur schwer „Familie“ genannt werden kann: Drei Brüder, ein Vater, eine Enkelin und die sterbende Mutter.

Wir lernen jeden der Familienmitglieder einzeln kennen, den einen nach dem anderen. Diese Vorstellung findet auf recht symbolische Weise statt: Sie sind alle sehr unterschiedlich und jeder lebt sein Leben ohne die anderen, in einer Art Exklusivität. Einige habe seit über zwanzig Jahren nicht miteinander gesprochen, andere wussten nicht einmal etwas von der Existenz der Enkelin, Torunn.

Vor allem aber zeigt uns die Autorin dadurch, dass sie uns jedes Familienmitglied getrennt vorstellt, wie immens die Abgründe sind die alle voneinander trennen bevor sie dann alle um das Krankenbett der Mutter herum versammelt.

Was sie vereint ist also die Attacke der Mutter, Anna, die nun kur vor Weihnachten sterbend im Krankenhaus liebt. Die Familienpflicht führt daher dazu, dass alle anreisen.   

Unter diesen seltsamen Brüdern lernen wir zunächst Margido kennen. Und mit ihm stehen wir sofort inmitten der Atmosphäre des Buches und wissen, ob es uns gefallen wird oder nicht.

Eine neutrale, fast distanzierte aber dennoch extrem genaue Beschreibung, die uns einen Einblick auf den Alltag dieses Mannes lässt, der ein Begräbnisinstitut leitet.

Der Roman beginnt mit einem Arbeitstag von Margido. Der Suizid eines Jugendlichen, ein schreckliches Familiendrama zu dem er hier kommt um den Eltern in ihrer tiefen Trauer beizustehen.

Die Stimmung ist sofort eisig, sie berührt uns, bedrückt uns.

Wir befinden uns in dem Zimmer des verstorbenen Jungen, sehen seine in Tränen aufgelöste Mutter, wir sind von der Genauigkeit der Erzählung erschüttert.

Und wir sehen Margido, ein Einzelgänger, ruhig und beherrscht. Er war niemals verheiratet und wird auch niemals heiraten. Und obwohl der heimatliche Hof, auf dem seine Eltern und sein älterer Bruder Tor leben, so nahe ist, geht er niemals dorthin und ruft auch nur in Notfällen an. Er hat sein Leben ohne jede Familie aufgebaut, mit seinem kleinen gutchristlichen Alltag mit dem er sein kleines, korrektes Leben lebt.

Dann lernen wir Erlend kennen, den jüngsten der Söhne. Er ist sehr viel jünger als seine beiden Brüder und lebt mit seinem Partner Krumme in Kopenhagen. Er hat seit zwanzig Jahren mit keinem seiner Familie gesprochen. Erlend hat den Familienhof nicht nur verlassen, weil er ihn nicht interessierte, sondern auch weil er, als Homosexueller, die Schande seiner Familie war. In Kopenhagen ist er glücklich, er erblüht in seiner Arbeit als Vitrinen-Dekorateur und lebt mit dem Mann, den er liebt. Er steht zu seinem Glück und gefällt sich in seinem oberflächlichen Leben. Er ist ein Mann der gerne lebt und dies mit Freude und Leichtigkeit tut.

Er ist das genaue Gegenteil zu Margido, der sicher nicht einmal mehr weiß wie man herzhaft lacht.

Tor ist der dritte der Brüder. Er arbeitet auf dem Hof der Familie, und tatsächlich ist er es, der ihn alleine bewirtschaftet. Er hat begonnen, Schweine zu züchten, was leichter ist als sich alleine um Kühe zu kümmern. ER liebt seine Schweine und redet den ganzen Tag von nichts anderem. Sein Leben ist recht eingeschränkt, er hat den Hof, auf dem er mit seinen Eltern, lebt nie verlassen. Er steht seiner Mutter sehr nahe, die sich um den Haushalt kümmert, während sein Vater mehr wie ein Schatten den Hof belebt, dessen Gänge er still durchquert ohne dass je jemand das Wort an ihn richtet. Für Tor ist sein Vater nichts weiter als eine störende Anwesenheit. Tatsächlich bespricht er alles nur mit seiner Mutter, die diejenige ist die letztendlich alle Entscheidungen trifft. Anna die Mutter, scheint eine harte, sehr arbeitstüchtige Frau gewesen zu sein, das Herz des Hauses – oder eher der Motor des Hauses.

Doch eines Tages erkrankte diese allgegenwärtige Frau. Es war das erste Mal, dass sie nicht aufstand, dass der Kaffee nicht fertig war. Uns so hat sich schließlich einen Schlaganfall erlitten und wurde in ernstem Zustand in das Krankenhaus eingeliefert.

Nun ist es an Tor und Margido, Erlend zu benachrichtigen und über die Situation in Kenntnis zu setzt, aber auch Torunn, Tors Tochter von siebenunddreißig Jahren.

Diese vier grundverschiedenen Personen – oder eher fünf, mit dem Vater der auf dem Hof geblieben ist – die in den letzten Jahrzehnten weit auseinandergelebt haben (und sich dabei auch auseinandergelebt haben) treffen sich nun wieder, hier, auf dem Bauernhof ihrer Kindheit…

Meine Meinung:

Dieser Roman spielt sich nicht in einem geschlossenen Raum ab, dennoch ist die Stimmung angespannt und eisig.

Man kann sich leicht den baufälligen Hof vorstellen, mit seinem Schweinestall, seinen Gerüchen, der Kälte, sei sie real oder imaginär, und man fragt sich wie die einen auf die anderen reagieren werden, Brüder, wie sie nicht ungleicher sein könnten, Brüder, die seit langer Zeit kein Wort mehr miteinander gesprochen haben, ja deren Kindheit ihnen kaum gemeinsame Erinnerungen gelassen hat, dafür aber viele bitteren Erinnerungen.

Dies ist ein ruhiges Buch, doch es ist eine eigenartige, kalte Ruhe, wie die eines gefrorenen Teichs: Er ist ruhig, von einer dicken Eisschicht bedeckt, ja, doch wer weiß was tief unter der krachenden Eisschicht verborgen liegt?

Die Lektüre des Romans ist sehr einfach und es ist wirklich überraschend mit was für einer Leichtigkeit man während der Vorstellung der Neshov-Gebrüder von einem Universum in ein anders, absolut anderes rutschen kann. Man kann sich ohne Schwierigkeiten Erlends schicke Wohnung vorstellen, man kann beinahe seine Swarovski-Figuren-Sammlung vor sich sehen bevor man sich mit derselben Leichtigkeit in den kalten, öden Hof voller penetranter Gerüche versetzt, in dem die Zeit stillzustehen scheint.

Ein sehr gelungenes – und kaltes – skandinavisches Buch.

Das Lügenhaus“ ist das erste der Neshov-Trilogie, doch man kann es ohne Problem als Einzelroman lesen und belassen, denn das Ende wurde so gewählt, dass der Roman zu einem perfekten Abschluss kommt.

Ich gebe zu, dass ich trotz allem bis hierhin nicht wirklich Lust hatte, den zweiten Band zu lesen – und diese fehlende Lust hat mich dazu bewegt, meine Bewertung einen halben Punkt zu senken, denn das bedeutet ganz klar, dass irgendetwas fehlt.

Die drei Bücher der Neshov-Trilogie sind:

– Lügenhaus (Buch 1)

– Einsiedlerkrebse (Buch 2)

–  Hitzewelle (Buch 3)

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