Die Poesie

oder „Gedichtkunst“ (aber das klingt schon nicht so „poetisch“) ist wahrscheinlich der Genre der Literatur, der sich am schwersten definieren lässt.

 

Die Poesie ist etwas, was man fühlt, man atmet sie ein, man berührt sie, es ist eine Kunst, fast schon eine Musik. Und dennoch sind es Schriftwerke (in dem Fall der mich interessiert).

Die Poesie geht über das Geschriebene hinaus und hinterlässt mit weniger Worten eine tiefere Spur.

Hinzu kommt, dass die einen oder anderen die Poesie nicht an derselben Stelle sehen.

 

Sie werden erstaunlich viele Versuche finden, eine Definition vorzuschlagen.

Sie haben natürliche die vage Beschreibung, die uns sagt dass es Werke sind, die „poetische Momente“ erfassen und wiedergeben … womit uns nicht geholfen ist, denn wenn wir beschreiben können was ein „poetischer Moment“ ist, dann brauchen wir Poesie nicht mehr zu definieren.

 

Natürlich werde ich hier nicht versuchen zu beschreiben, was ich für „poetisch“ halte, was die „Poesie“ in ihrem ganzen Glanz ist, nein, ich halte mich an den Literaturgenre, den man allgemein „Poesie“ nennt, die Poesie die sich an das geschriebene Wort hängt, wenn man so will.

 

Oftmals wird über diese Poesie ausgesagt, dass in diesem Literaturgenre der Autor, der dann den Titel des „Poeten“ trägt, sich bemüht „die Quellen der Sprache so tief wie möglich auszuschöpfen“, indem er „seltene Worte“ benutzt um ein besonders farbiges und „poetisches“ Werk zu hinterlassen.

 

Der Poet wird dieses Ziel verfolgen und dabei so wenig Worte wie möglich benutzen. Eine Handvoll Verse können und sollen den Leser erschüttern und seine Seele da berühren wo ein Werk von zehntausend Seiten versagt hat.

 

Aber um ein Poet zu werden oder wahre Poesie zu kreieren reicht es nicht aus, eine große Anzahl seltener oder ausgefallener Worte aneinander zu reihen oder sich aller rhetorischen oder literarischen Formulierungen zu bedienen die einem in den Sinn kommen. Dieses Talent erlernt sich nicht, es kann nicht studiert werden. Das Ausgraben seltenster Worte in Lexiken oder auch das Ausschöpfen des letzten Wortschatzes können niemals die Abwesenheit der Gefühle ersetzen. Wie es unendlich viele Maler ohne wirkliches Talent gibt, deren Werke schließlich fade und leblos an der Wand hängen, so gibt es ebenso viele Poeten deren Werke den Leser trotz all der spektakulären Wortwahl nicht berühren. Gleichzeitig aber kann ein Kind diese poetische Gabe besitzen und mit den allereinfachsten Worten direkt unser Herz treffen!

 

Also definiert das immer noch nicht die „Poesie“ und wir sind noch keinen Schritt weiter.

 

Ich halte zunächst einmal fest, dass in der Poesie die Worte unglaublich wichtig sind, seien sie nun selten oder nicht, und dass es ihre Wahl und ihre Verbindung mit anderen ist, die in uns etwas erklingen lassen, die eine „Poesie“ oder ein „Gedicht“ bilden. Diese Poesie sollte nicht zu lang sein – um nicht Gefahr zu laufen sich in einen „Essai“, eine „Novelle“ oder gar in einen „Roman“ zu verwandeln.

 

Aber gehen wir doch ein wenig zurück – auch wenn ich nun wirklich nicht gerne die Historikerin spiele – und schauen wir uns einmal den Ursprung des Wortes Poesie an: Es kommt aus dem griechischen und bedeutet „Erschaffung“. Der Poet „erschafft“ mit Worten etwas Romantisches, Harmonisches, er kreiert etwas Berührendes.

 

Aber wie „schafft“ er es? Jeder Poet wird dafür seinen Schwerpunkt an einer anderen Stelle setzen: Der eine wird einen gewissen Rhythmus einhalten, der nächste seine Worte auf ein striktes Minimum reduzieren, und einem weiteren wird es wichtig erscheinen, seine sanften Sätze zum Gedicht zu machen, noch ein weiterer wird sich dafür entscheiden nur Worte zu benutzen die mit dem Buchstaben „R“ beginnen, und noch andere Poeten werden ihre Gedichte und Werke in einer besonderen Form anordnen, so dass die Linien und Zeilen ein Bild ergeben. Kurzum, hier gibt es keine prinzipielle Regel.

 

Es ist also nicht die Struktur, die die Poesie ausmacht. Es ist nicht ihre Architektur.

 

Eine einzige Sache verbindet alle Poeten: Sie alle versuchen ein neues Werk zu erschaffen und dieses mit einer bestimmten und deutlich spürbaren Emotion zu versehen.

 

Der Wunsch des Poeten ist es, seinen Leser mit der Kraft seines Werkes festzuhalten. Wie ein Bild uns die Sprache verschlagen kann – sei es durch seine Schönheit, seine Farben oder aufgrund des abgebildeten Objekts – eine Poesie kann uns für immer verändern.

 

Ich persönlich erinnere mich an mehrere Gedichte, die tiefe Spuren in mir hinterlassen haben. Das überraschendste daran ist, dass es nicht die gesamte Poesie war, sondern eine einzige Zeile die meine Weltanschauung ändern konnte.

 

So kann ich heute kein Bahngleis mehr betreten ohne an diese Worte von Reiner Kunze zu denken „Der Schaffner warf die Tür ins Schweigen.…“. Dieser kleine Satz hat mich geprägt: Ich stelle mir sofort ein Pärchen vor, das auf dem Bahnsteig steht, der eine wird fahren, der andere bleiben, sie sehen einander an, versuchen sich noch zu sagen wie sehr sie einander bedeuten, sie haben sich so viel zu sagen, doch der Zug wird abfahren, sie finden die Worte nicht … und so sagen sie nichts, denn die Worte fehlen uns in diesem entscheidenden Moment des Abschieds. Und so schließen sich die Türen – fallen in ihr Schweigen – der Zug wird abfahren, es ist zu spät um sich all diese Dinge zu sagen. Und vielleicht überschwemmen jetzt die Worte und Sätze die beiden Liebenden, jetzt, wo es zu spät ist.

Sie sehen – ein simpler kleiner Satz, den eine andere Person vielleicht nicht einmal beachtet hätte, hat bei mir genau ins Schwarze getroffen. Ich war ungefähr fünfzehn Jahre alt, es war im Deutschunterricht, und ich erinnere mich sogar daran mit meiner Lehrerin über dieses Gedicht in einen Disput geraten zu sein. Und dennoch, in diesem Satz werden sie keine komplizierten oder seltenen Worte finden… die übliche Beschreibung der Poesie passt also nicht zu diesem Gedicht.

 

So komme ich nun also zu meiner eigenen Definition der Poesie, die, wie sie sehen, anders ist als die gängige; für mich ist die Poesie in der Literatur so in etwa dies hier:

 

Die Poesie ist eine Kunst, durch die der Poet mithilfe von sorgsam ausgewählten und miteinander verbundenen Worten ein Werk schafft, welches starke Emotionen vermitteln und bei dem Leser eine ausgeprägte Gefühlsregung hervorrufen soll.

 

Ich persönliche denke nämlich, dass der Poet ein Künstler ist, er schafft ein Werk aus dem Nichts, er geht von simplen Worten aus die genauso zum Beleidigen eines Nachbarn dienen könnten. Die Poesie ist eine Kunst. Der Maler benutzt Farben, der Komponist Noten, der Poet Worte, und alle schaffen ein Werk dass uns den Atem raubt.

 

Wow, lassen sie mich dieses Thema noch ein wenig weiterführen, das macht Spaß, noch ein paar Linien denn ich merke schon, dass jeder unserer fünf Sinne das Ziel einer bestimmten Kunst sein kann:

 

Die Musik, das ist die Kunst durch das Gehör zu reisen, da sie ausdrückt was wir nicht in Worte fassen können,

Die Malerei ist die Kunst der Sicht, sie drückt aus was wir nicht mit unseren Ohren zu hören vermögen,

Die Bildhauerei kann man mit Händen fassen, sie berühren und fühlen,

Die Kochkunst ist die Kunst des Geschmacks, man kann sie auch mit geschlossen Augen genießen,

Und die Parfümeure versuchen unsere Laune, ja sogar unsere Gefühle durch ihre Düfte über unsere Nase zu beeinflussen

 

Ja aber, die Poesie? Über WELCHEN SINN spricht uns denn dann diese Kunst an?

 

Ganz einfach: Die Poesie ist die Kunst der Fantasie.

 

Natürlich ist jede andere Definition der Poesie genauso gültig und richtig, dies ist einfach nur meine.