Der historische Roman

 

Oh, da könnte man nun denken, das sein einfach. Man könnte es denken, dabei ist das für mich einer der Genre der Literatur die am diskutabelsten und weitreichendsten sein kann.

 

Schließen wir aber zunächst einmal aus diesem Genre die vor langer Zeit geschriebenen Romane aus (im Sinne von „antike“ Romane, das heißt vor langer, langer Zeit verfasst) oder auch die „Monumente“ der Literatur, die also mehr durch ihren Einfluss als ihren Genre „historisch“ sind.

 

Der historische Roman, der wahrscheinlich durch die mittelalterlichen Romane Walter Scotts eingeweiht wurde, spielt sich zu einer bestimmten Zeit der Weltgeschichte ab; das kann die Antike sein (wie zum Beispiel Max Gallos „Römer“-Reihe – die nicht auf Deutsch erhältlich ist, aber ich denke der Titel der Reihe zeigt ja worum es geht) oder auch das Mittelalter (z.B. Ken Follets „Die Säulen der Erde“), oder auch im ersten Weltkrieg spielen (wie „Sturz der Titanen“, ebenfalls von Ken Follet) oder auch jede andere Epoche der Weltgeschichte.

 

Das wichtigste daran ist, dass es sich um die wirkliche Vergangenheit handelt und dass die erwähnten Ereignisse tatsächlich geschehen sind – auch wenn, und sogar besonders weil, der Plot ja teilweise vollkommen imaginär ist.

 

Ein historischer Roman setzt eine gute Dokumentation voraus, ob es sich nun um die damaligen Geschehnisse oder die damaligen Lebensbedingungen handelt.

 

Und nun wird es etwas komplizierter:

 

Der historische Roman kann nur ein ganz kleines Detail in Szene setzen. So dreht es sich zum Beispiel in Arthur Goldens Roman „Die Geisha“ nur um das Leben der Geisha, alles andere auch geschichtliche wird kaum gestreift. Ja, natürlich erwähnt der Autor auch Ereignisse aus dieser Zeit, aber das ist es hier nicht was daraus einen historischen Roman macht.

 

Der historische Roman kann auch eine vollkommen frei erfundene Geschichte beschreiben, die sich über Jahre, oder Jahrzehnte oder mehr hinzieht, und so zum Beispiel die Auswanderung der Schweden nach Amerika beschreiben wie Vilhelm Moberg in seinem „Roman von den Auswanderern“ oder auch die Abenteuer der ersten Siedler Australiens (wie in „Insel der Verlorenen“ von Colleen McCullough) – was in diesen Büchern wichtig ist, ist nicht so sehr die „historische“ Geschichte wie das Leben der fiktiven Romanfiguren, deren Lebensbedingungen in der damaligen Zeit (die dann wieder „echt“ sind) und die Welt die sie umgibt.

 

Andere historische Romane konzentrieren sich auf eine historische Figur; hier kann das Buch dann mehr oder weniger „literarisch“ ausfallen, mehr oder weniger frei beschrieben. So werden Sie viele Bücher über Julius Cäsar, Napoleon, Henry VIII usw. finden, die jene zentrale Figur auf verschiedenste Weise darstellen, manchmal als Held und manchmal als Tyrann.

Wieder andere Bücher die sich um eine historische Figur aufbauen, wie zum Beispiel die Saga um „Ramses II“ von Christian Jacq, können extrem gut recherchiert sein obwohl weiter Aspekte der Handlung ganz frei erfunden sind (in Ramses wäre das zum Beispiel der spirituelle Aspekt, die Verbindung zwischen dem Pharao und den Göttern usw.).

 

Und hier nähern wir uns auch schon gefährlich einem anderen Genre, der Biografie, die dann dort beginnt wo der frei erfundene Teil des Buches zweitrangig oder gar inexistent ist.

 

Es ist noch nicht zu Ende: Die Möglichkeiten des historischen Romans sind grenzenlos.

So können Sie also auf der einen Seite ein wie das oben bereits erwähnte „Der Sturz der Titanen“ nehmen, welches den Akzent auf eine enorme Dokumentation setzt und viel Wert auf den genauen Ablauf der damaligen Ereignisse legt, und dies alles durch das Leben einiger fiktiver Familien in Szene setzt. Hier begegnen wir dann fiktiven Personen wie auch reellen Persönlichkeiten. Wenn man ein solches Buch liest, lernt man sehr viel über die damalige Situation.

Wenn Sie dann einen anderen historischen Roman nehmen, wie z.B. den ebenfalls bereits erwähnten „Die Geisha“, welcher ebenso gut recherchiert ist – aber auf eine ganz andere Art und Weise, denn hier begegnen wir kaum einer bekannten historischen Figur und historisch einschneidende Ereignisse werden kaum erwähnt, nicht mehr als in einem klassischen Roman; nein, hier handelt es sich um eine Dokumentation was die Lebensweise und die Lebensbedingungen der damaligen Zeit angeht.

So ist es dann eigentlich absolut unmöglich diese beiden Bücher miteinander zu vergleiche, und doch sind beide auf seine Weise gute und fantastisch dokumentierte historische Romane.

 

Doch es gibt nicht nur eine breite Auswahl an historischen Romanen – nein, es gibt auch noch große Unterschiede was die historische Basis angeht. Die Ernsthaftigkeit des Hintergrundes kann von einem Roman zum anderen variieren, manche sind einfach tiefgründig recherchiert und andere nicht.

 

Um klarer zu sein: Manche Bücher sind eigentlich hauptsächlich „Romane“ (wie z.B. die phantastische „Highland-Saga“ von Diane Gabaldon, die eine Mischung zwischen Phantastik und historisch anbietet), andere werden eher „historisch“ sein, die Wirklichkeit und die Genauigkeit der Weltgeschichte sind hier dominierend.

 

Und dennoch kann man so unterschiedliche Bücher unter derselben Kategorie finden. Was vollkommen unsinnig zu sein scheint. Und daraus entstehen dann viele Diskussionen über die Definition des „historischen Romans“.

Ich persönlich bin doch überrascht dass niemand vorgeschlagen hat offiziell neue Unterkategorien einzuführen, insbesondere wenn man sich da einmal andere Kategorien ansieht, wie z.B. die Fantasy oder Science Fiction, welche sich in dutzende von Genre aufteilen.

 

Doch, stopp, werden Sie mir sagen, da gibt es verschiedene Unterkategorien, und Sie haben recht damit. Denn es ist schon wahr dass es unterschiedliche Bezeichnungen gibt (Ritterromane, Heldenroman…) oder dass man sie nach Epoche aufteilt (Romane der Antiquität, Romane des Mittelalters …), doch dies sind alles eher Beschreibungen und keine Unter-Genre mit ihren eigenen Regeln, das ist zu vage für eine eigene Kategorie. Man teilt sie einfach ein wie man es sich denkt.

 

Wie oft kommt noch dazu, dass wir einer gewollten Mischung von zwei Genre beiwohnen: Der Krimi mengt sich mit dem historischen Roman und wird damit ein „historischer Kriminalroman“. Dies ist im übrigen eine häufige und beliebte Mischung, die mir selbst auch sehr gut gefällt. Hier kann man zum Beispiel „Im Namen der Rose“ von Umberto Eco aufführen, oder auch die Bücher von Anne Perry (z.B. die Reihe um Charlotte du Thomas Pitt), die Romane von C.J. Jansom mit dem gebuckelten Anwalt Matthew Shardlake usw.

Dann gibt es die bereits erwähnte Begegnung zwischen historischem Roman und Phantastik (wie eben die Highland-Saga von Gabaldon)…

Und dennoch, nichts ist offiziell, nichts ist klar definiert. In den Bücherregalen mischt sich alle auf demselben Tisch.

 

Kleiner persönlicher Kommentar: Ich hätte ja an so etwas gedacht wie einen historischen Unter-Genre im Stil von „Historic-Fiction“ (weil Englisch ja immer gut ankommt) um Bücher zu bezeichnen die Phantastik und historisch menge, in denen der fiktive Anteil mehr Gewicht hat und die sich eher aus persönlicher Vorliebe in unserer Vergangenheit abspielen (wie eben bei Gabaldon), oder auch „historisch-faktuelle Romane“, in denen die Ereignisse sehr wichtig und überprüfbar sind, die imaginäre Handlung aber immer noch mehr Gewicht hätte (wie in den Büchern von Christian Jacq, in dem Sie die Tatsachenüberprüfen können, er hat hier ein großes Talent), oder auch „realistisch-historische Romane“ die sich eng an den Ablauf der Weltgeschichte halten, in denen alles wirklich geschehen sein könnte und in denen dieser geschichtliche Anteil wichtiger ist als der fiktive (z.B. Ken Follet/Jahrhundert Saga).

 

Aber kommen wir zum Thema zurück, denn eine letzte Frage bleibt noch offen:

Ein Buch wie Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, ist das nun ein historischer Roman – obwohl es sich ja damals um einen zeitgenössischen Roman handelte?

Meine Antwort hierauf ist: Nein.

Selbst wenn dieses Buch heute wie ein historischer Roman wirkt, damals wer er es nicht. Der historische Roman beschreibt die VERGANGENHEIT und muss demnach von der beschriebenen Zeit aus betrachtet in der Zukunft geschrieben worden sein, also mit dem historischen Abstand, wenn man es so sagen möchte, der Autor muss wissen was geschehen ist, was war und kam.

Ansonsten wären alle Bücher irgendwann einmal historische Romane!

 

Die Kategorie „historische Romane“ ist also ein Sammelausdruck. Nun muss ich zugeben, dass mir das hier passt, denn so kann ich einen Roman im Zweifelsfall einfach in die „historischen Romane“ hineinschieben…

 

Für so manchen Autor ist das schon frustrierend: Sie verbringen Jahre mit Recherchen, sie informieren sich weitreichend, dokumentieren sich … und ihr Buch wird dann neben ein doch sehr fiktives Buch mit schwachem historischen Hintergrund ins Regal gestellt… Der Vergleich kann manchmal hart sein.