Eden Lit

Olivier Arnaubec – 2023, Le Mur

Originaltitel: 2023, Le Mur

Meine Bewertung: 6,5/10

„Le Mur“, was soviel bedeutet wie „die Mauer“, ist ein erster Roman, ein Zukunftsroman, der in mir gemischte Gefühle ausgelöst hat. Die Idee hat mich überzeugt, und auch die Verwirklichung, die recht atypisch ist, hat mir gefallen, doch ich denke, dass der Autor etwas zu „mutig“ war und hier einen zu „polemischen“ Roman verfasst hat, wodurch der Leser dieses Buch mit einem spürbaren Unwohlsein liest. Ich werde darauf zurückkommen.

Der Plot:

Es gibt hier einen doppelten Plot, beim dem die beiden Geschichten niemals richtig aufeinandertreffen.

Auf der einen Seite verfolgen wir Maître Gaëtan Suchet in Nordfrankreich, und das im Jahr 2090. Gaëtan ist Kautionsanwalt am Strafgericht, einem Gericht in de das Urteil von einer Maschine ausgesprochen wird. Seine Rolle besteht darin, den Verurteilten zu beruhigen wenn das Urteil von dem Vorsitzenden des Gerichts ausgesprochen wurde.

Doch an einem Tag, der wie jeder andere beginnt, geht die Maschine kaputt….

Durch eine ungünstige Verbindung von Zufällen wird Gaëtan nun in eine Sache mit hineingerissen, die ihn völlig überfordert und ihn dazu zwingt, die Mauer zu durchqueren um nach Südfrankreich vorzudringen, in das islamische Frankreich…  

Denn seit 2023 trennt die große Mauer Frankreich in zwei Teile, auf der einen Seite Den Norden Frankreichs, in der weiterhin der Staat von der Kirche getrennt bleibt und die Konfessionsfreiheit gilt, und den Süden Frankreichs, der nun muslemisch ist.

Hier spielt sich dann auch die zweite Handlung ab: Wir verfolgen diese Splitterung Frankreichs, den Kampf zwischen den radikalen Muslimen Frankreichs, einer Minderheit die ihren Willen aber der stillen Mehrheit aufzwingt, und den Ur-Franzosen, wenn man das so ausdrücken kann, diejenigen, die in der blau-weiß-roten Republik aufgewachsen sind und stolz auf ihre Freiheiten sind.

Ich habe diesen Roman zufällig erst jetzt, im Juli 2016 gelesen, was mein ungutes Gefühl noch verstärkt hat…. denn die von dem Roman erzählte Geschichte, die mit dem Bau der Mauer endet, beginnt genau hier….

 

Eine beunruhigender, vielleicht ein wenig zu polemischer Plot:

Wie ich es schon zu Beginn meines Beitrags erwähnte, hat mir dieser Roman trotz seiner kleinen Makel (auf die ich später zurückkomme) gefallen, doch seine Lektüre hat mich gleichzeitig auch unangenehm berührt, ja hat mir sogar Angst gemacht, und dies aus zwei Gründen:

Zunächst einmal ist diese Geschichte unglaublich realistisch, umso mehr da sie in UNSERER Gegenwart beginnt, wenn wir den Kopf drehen oder den Fernseher anschalten erkennen wir einige der Romanfiguren wieder, wir sehen wie sie die Entscheidungen treffen die zu der Teilung Frankreichs geführt haben. Der Autor ist von HIER gestartet, von heute, und hat die Gesellschaft dann die erschreckendste und beunruhigendste Entwicklung durchmachen lassen die irgendwie möglich ist, mit einem Zivilkrieg der schließlich zu der endgültigen Teilung des Landes führte, der die Muslims von den anderen Glaubensrichtungen trennte, da die Kulturen einfach zu unterschiedliche waren um miteinander auf eine gemeinsame Zukunft zuzusteuern.

Das hat mich wirklich erschreckt, denn das ist es, was wir in den Zeitungen lesen, diese Dinge sind schon in anderen Ländern geschehen. In Ländern in denen die Frauen frei waren, sich kleiden konnten wie sie es sich wünschten, ihren Haaren freien Lauf ließen wenn sie dies wollten – aber die sich heute in eine Zwangsuniform zwingen müssen, sich vollständig verhüllen, und sich somit in einem Gefängnis aus Stoff wiederfinden (für diejenigen, die dies nicht freiwillig, aus freier Wahl tun natürlich, denen diese „Tracht“ aufgezwungen wird wodurch ihre grundsätzlichsten Freiheiten geraubt werden).

Aber das ist nicht alles, denn diese Art der Angst kennt jeder, ich werde jeden Tag damit konfrontiert, und sei es nur wenn ich meine „Facebook“-Seite öffne, denn dort gibt es Nachrichten dieser Art in Hülle und Fülle.

Nein, was mich wirklich beängstig hat, das ist die Tatsache dass mich die Lektüre selbst beunruhigt hat, ja ich habe sogar Angst diesen Beitrag zu verfassen!

Als sei die Tatsache, dass ich diesen Roman, der zu Kontroversen führen kann, gemocht habe mich selbst in Gefahr bringen könnte. Ich denke das nicht wirklich, denn diejenigen die mich regelmäßig lesen wissen, zumindest hoffe ich das, dass mir der Glauben einer jeden Person völlig gleichgültig ist, wie auch viele andere Dinge. Dennoch habe ich Angst als „Rassist“ gewertet zu werden. Das ist eigentlich lächerlich, denn es handelt sich schließlich nur um einen ROMAN, eine Geschichte in ROMANFORM, ein Zukunftsroman der eine eventuelle Entwicklung der Gesellschaft vorsieht. Dies wird nicht der erste sein, und auch sicher nicht der letzte.

Aber diese Entwicklung ist wirklich möglich, in einer nahen Zukunft, und deswegen ist sie so beängstigend und bringt dieses „Unwohlsein“ mit sich…. als müsse ich mich jetzt schon für eine Seite entscheiden.

Es wäre mir wahrlich und wahrhaftig lieber gewesen wenn der Autor weniger mutig gewesen wäre und einfach fiktive Figuren gewählt hätte und andere, eventuell auch imaginäre Glauben in Szene gesetzt hätte als jene, die bereits im Mittelpunkt der Medien stehen, dass er einfach all dies in eine leicht parallele Welt versetzt, eine, die frei erfunden ist.

Jetzt werde ich mich bemühen um ebendiese Distanz zu wahren indem ich einen Absatz der rein „literarischen“ Kritik hinzufüge:

 

Ein atypischer erster Roman, mit seinen schwachen und seinen starken Seiten:

„Le Mur“ ist ein eher gelungener erster Roman.

Der Stil des Schriftsellers ist eher atypisch und hat mich eher an die journalistische Schrift eines Menschen, der Ereignisse wiedergibt als an die eines Romanciers. Doch es bleibt angenehm und verfolgt sich leicht, es ist auch sehr lebendig trotz der fast völligen Abwesenheit von Dialogen oder auch feingeschnitzten Romanfiguren. Dies alles funktioniert gut mit dem „historischen“ Teil des Buches.

Den Romanfiguren fehlt es an Tiefe, was schade ist. Gaëtan ist wohl der am feinsten ausgearbeitet Charakter und auch ihn können wir uns nur schwer vorstellen. Die anderen Romanfiguren bleiben Charaktere, die in wenigen kurz zusammenfassenden Linien beschrieben werden, wie man eventuell eine Person im Fernseher vorstellt, mit eine min drei Zeilen zusammengefassten Lebenslauf und einer Beschreibung des Erscheinungsbildes, die nicht viel weiter geht.

Erstaunlicherweise ist das nicht besonders schlimm. Wahrscheinlich weil der Grund recht einfach ist:

Dieser Roman zieht den Plot seinen Charakteren vor: Die Grundlage selbst des Buches ist die Entwicklung der Gesellschaft, die Geschichte selbst, die Idee dass dies tatsächlich geschehen könnte. Das ist die Stärke von „le Mur“. Und hier schlägt dieses Buch wirklich ein, es saugt sich an uns fest. Ich konnte auch danach noch dieses Unwohlsein, diese Unruhe nicht loswerden von der ich weiter oben gesprochen habe. Der Impact dieses Romans beruht also völlig auf der Idee und dem Realismus. Die fiktiven Figuren werden nebensächlich, ein wenig wie so manche historische Figur – und so werden sie eigentlich auch im Laufe der Seiten beschrieben. Der Autor hat seine Wahl getroffen: In diesem Erst-Werk geht es um den Plot, nicht die Romanfiguren.

Einige Details fehlen dem Leser. Ich hätte zum Beispiel gerne erfahren wie es dazu kam, dass in Nord-Frankreich per Maschine geurteilt wird. Das wird leider nie erklärt. Da die Idee selbst von Maschinen, die die Menschen regieren (seien es nun Maschinen, die das Wetter kontrollieren, das Essen oder sonst etwas) nicht neu ist (mein erster Roman dieser Art hat mich damals geprägt, es handelte sich um Shirley Parenteaus „Die sprechenden Särge“, das war damals im Jahr 1979) denke ich, dass es gut gewesen wäre etwas weiter zu gehen und den Leser nicht vor einer solchen Tatsache stehen zu lassen. Es fehlt eine genauere „Grundlage“.

Was mir an diesem Roman am Besten gefallen hat, das war ganz klar das Ende.

Ich liebe es, wenn Bücher so enden. Perfekt!

Ich würde also sagen, dass dies ein eher guter Roman ist – den ich aber lieber in einer fiktiveren Welt gelesen hätte.

Aber es ist auch ein Roman, an den Sie sich durch seinen Realismus erinnern werden. Leider.

 

0 Kommentare

Dein Kommentar

Want to join the discussion?
Feel free to contribute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.