Karine Giebel – Die Flügel, mein Engel, zerreiß ich Dir

Originaltitel: Juste une ombre

Meine Bewertung: 8/10

Mit diesem clever aufgebauten Thriller bestätigt Karine Giebel (wieder einmal) ihr Talent.

 

Schon der Plot ist vielversprechend:

Cloé ist eine starke, selbstständige Frau, eine moderne Frau. Nichts schreckt sie, weder auf der Arbeit noch in ihrem Privatleben. Sie geht keinem Problem aus dem Weg sondern stellt sich allen offen gegenüber.

Bis zu dem Tag, an dem sie einen Schatten bemerkt, den Schatten eines Mannes, ganz in Schwarz gekleidet, den Kopf unter einer Kapuze verborgen. Und dieser Schatten scheint ihr zu folgen…

Zunächst zweifelt Cloé an sich, es ist sicher ihre Fantasie, doch der Schatten dringt mehr und mehr in ihr Leben vor, wird bedrohlich. Er schleicht sich in ihr Haus um Dinge zu verschieben, ja er füllt sogar ihren Kühlschrank auf, erst in ihrer Abwesenheit dann sogar während sie anwesend ist, während sie schläft!

Cloe, als aufgeschlossene Frau, wendet sich an die Polizei, die ihr nicht glaubt. Wer würde schon bei einer Frau eindringen um deren Kühlschrank aufzufüllen?

Und doch weiß Cloé, dass sie sich diesen Schatten nicht einbildet. Und er ist böse, er ist ihr schlecht gesinnt, er plant sie zu töten. Doch warum?  

Parallel lernen wir auch Gomez kennen, einen Polizisten auf steilem Abstieg, dessen Privatleben besonders hart ist und der durch den Verlust eines Kollegen ganz aus der Bahn geworfen wird. Der Handlungsstrang um diesen Polizisten, die etwas „altmodisch“ ist, scheint keinerlei Verbindung mit Cloes Problemen zu haben, und doch werden sich ihre Wege in der Mitte des Romans kreuzen. Und man fragt sich also, wird er ihr helfen können? Wird er ihr glauben? Werden es ihm seine eigenen Dämonen ermöglichen die Wahrheit zu sehen?

 

Also?????

Ein schwarzer Roman, der zunächst langsam startet, mit einer Spannung die sich sanft aufbaut.

Der Schatten scheint zunächst nebensächlich, bevor er mehr Platz einnimmt. Daher fragt man sich zu Beginn des Buches ob da wohl noch etwas mehr Druck kommen wird, aber da kann ich Sie beruhigen, der kommt noch!

Ebenso bleibt die Erzählung um den abdriftenden Polizisten zunächst vollkommen unabhängig und man fragt sich ob das nun wirklich von Interesse ist, man wartet darauf dass die Linie sich endlich beugt um Cloés Geschichte zu überschneiden.

Ich möchte hier doch erwähnen dass man meiner Ansicht nach die Beschreibungen, die das Leben von Gomez betreffen ein wenig hätte kürzen können denn schließlich und endlich ist sein Weg von vornherein so bestimmt dass er die von Cloé überschneidet um dann an deren Geschichte teilzuhaben. Die Tiefgründigkeit seiner Handlung is also ein wenig überzogen, doch keineswegs störend. Man darf nur nicht denken, das hätte irgendeinen Einfluss auf die Probleme von Cloé, es geht wohl einfach nur darum dem Mann ein wenig Relief zu verleihen.

Es stimmt auch, dass man Gomez einfach gern haben muss, auch wenn sein Charakter sehr hart am Klischee des „guten alten Polizisten“ schwebt.

Die Entwicklung von Cloé hat mich wirklich sehr überzeugt. Man beobachtet, wie diese starke Frau langsam beginnt an sich selbst zu zweifeln, ihre mentale Gesundheit in Frage stellt, sich neu motiviert, ersucht zu kämpfen, aber immer wieder von der Paranoia gepackt wird, dieser tiefen Angst, ja diesem Terror, dies alles ist sehr geschickt und überzeugend eingeleitet. Es beginnt eben sanft und langsam bevor alles ganz schnell geht.

Der einzige Aspekt der mir eher missfallen hat, das waren die Seiten/Kapitel auf denen wir den Gedankengang des Schattens teilen konnten. Diese waren vollkommen überflüssig, finde ich zumindest, das hat nichts beigetragen, keine Spannung, keine Zweifel, einfach nur Seiten die sicher dazu dienen sollten, die drückende Angst zu erhöhen, ihr Ziel aber verfehlen. Wenn sie diese paar Seiten überspringen, werden sie gar nichts verpassen.

Schließlich, wenn es dem Ende zugeht kann man dann doch recht leicht erraten was hier vor sich geht, doch im Laufe des Romans hat der Leser ganz klar die Gelegenheit mal den einen, mal den anderen zu verdächtigen. Natürlich stimmt es schon, dass die Grundidee nicht wirklich neu ist (eine Frau, der niemand glaubt, wird von einem intelligenten Psychopathen verfolgt), wodurch man dann schon merkt dass unsere Vermutungen willentlich auf den einen dann den anderen gelenkt werden, dass unsere ersten „Verdächtigen“ natürlich unschuldig sind, das wissen wir ja aus Erfahrung, weil wir schon viele Romane dieser Art gelesen haben.

Dennoch fragt sich der Leser und wartet ungeduldig darauf, dass der Schatten wieder in Erscheinung tritt.

Vor allen Dingen aber, was ist nun das Ziel des Schattens? Das ist die Frage, die man sich stellen sollte!

Ein wirklich guter Giebel, der der Langeweile keinen Platz lässt. Die Feder der Autorin, die ganz klar feminin ist, ist sehr angenehm zu lesen. Sie hat einen einfachen aber lebendigen Stil der mich einfach anspricht.

Ein Wort noch zu dem deutschen Titel: Ich fand schon den französischen Titel gelungen („Juste une ombre“, was wörtlich „nur ein Schatten“ bedeutet), aber der deutsche, der gefällt mir mit seinem bedrohlichen Unterton noch besser.

 

 

 

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