Henri Loevenbruck – L’Apothicaire

Originaltitel  L’Apothicaire

Meine Bewertung: 8/10

Dieser Roman – der leider noch nicht auf Deutsch erhältlich ist – überrascht uns mit einer wundervoll aufgebauten Handlung, die sorgfältig vorbereitet und entwickelt wurde und dem Leser unglaublich geschickt vorgelegt wird. Die Spannung und die teilweise überraschenden Enthüllungen erhöhen den Lesespaß Seite um Seite.

Der Plot alleine würde 10/10 verdienen, mit seiner steigenden Spannung die auch den widerstrebendsten Leser mitreißt.

Wenn nicht….. (dies ist ein wahrscheinlich vollkommen misslungener Versuch etwas Spannung in meinen Kommentar zu bringen)

 

Doch sprechen wir zunächst, wie üblich, über den PLOT

Dieses Element des Romans hat mich einfach überzeugt! Die Grundidee, der Ausganspunkt, ist clever und die Art und Weise wie der Apotheker dem Weg folgt kann fast meisterhaft genannt werden.

Wir lernen Anrdeas Saint-Loup, den Apotheker, ihn in Paris kennen. Wir schreiben dass Jahr 1313. Er ist ein Mann von festem Charakter, der sich für die Wissenschaft und die Forschung begeistert. Seine Neugier verführt ihn immer wieder zu für seine Zeit fast blasphemischen Handlungsweisen, sein Glaube ist inexistent obwohl er in einer Klostergemeinschaft aufgewachsen ist, vor deren Türen man ihn als Säugling abgelegt hatte.

Die damalige Zeit war unruhig, die Inquisition terrorisiert so manch einen Mann, die politischen Intrigen zerreißen das Land. Doch dies ist dem Apotheker gleichgültig, er lebt sein Leben als Wissenschaftler in seiner kleinen Apotheke in Paris, wo er darauf hofft das zu entdecken, was nun im Herzen der Materie verborgen liegt.

Doch eines Tages, im Januar, wird ein erstaunliches Ereignis seine Überzeugungen ins wanken bringen: Inmitten seines Hauses scheint ein Raum sich plötzlich seiner Wahrnehmung zu stellen, ein leerer Raum, ein Raum den er niemals bemerkt hat und der dennoch immer existiert hat, ein Raum den er vergessen hatte. Diese Tatsache ist umso bemerkenswerter, da weder seine Angestellten noch er selbst irgendeine Erinnerung an diesen Raum haben –obwohl alle sich darüber bewusst sind, das es diesen schon immer gegeben hat. Wie ist es möglich, dass ein Raum, an dem man jeden Tag vorrübergeht, einfach vergessen wird? Wie kann dieses Zimmer so sauber sein wenn doch niemand jemals darin Staub wischt?   

Andreas Saint-Loup ist in sich erschüttert, er, der Wissenschaftler mit dem untrüglichen Gedächtnis steht vor einem unlösbaren Rätsel – welches noch mysteriöser wird als sein Blick auf ein Gemälde fällt welches ihn darstellt, ein wundervolles Porträt das der alltäglichen Betrachtung offenbart ist – aber auf welchem etwas zu fehlen scheint….. oder jemand. Ja, die rechte Seite des Porträts ist leer, ein Schatten scheint über der Stelle zu liegen an der sicherlich einmal eine zweite Person dargestellt war! Aber wie kann eine Person aus einem Bild verschwinden? Das ist genauso unmöglich wie einen Raum zu vergessen!

Andreas Saint-Loup findet keine Ruhe mehr, er spürt, dass er dieses Rätsel lösen muss.

So beginnt er also mit seiner Suche, in Begleitung seines Lehrlings Robin, der Sohn eines Bauern, der genauso ungeschickt wie geistig rege ist und der in Andreas einen Meister gefunden hat, den er zutiefst bewundert.

Doch die Zeiten sind schwer und dieses seltsame Rätsel scheint die Neugier von einigen anderen Personen zu erregen! Die Gesandten des Königs, Philippe der Schöne, verfolgen unseren Apotheker den sie schon bald der Ketzerei beschuldigen, nur um seine Verhaftung und seine Befragung unter der Folter zu erklären, vor der sich alle so sehr fürchten. So bleibt Andreas bald keine andere Wahl mehr als aus Paris zu flüchten und den unsichtbaren Spuren der Person zu folgen, die vielleiht einmal in dem vergessenen Raum gelebt hat.

Doch zwei weitere Figuren, die noch dunkler und mysteriöser erscheinen, folgen ihm: Zwei Männer, die ganz in schwarz gehüllt sind, zwei Brüder die ihm aus einem undefinierbaren Grund folgen, der aber sicher nicht wohlwollend sein kann.

Parallel hierzu verfolgen wir ebenfalls das Schicksal von Aalis, einem jungen, vierzehn Jahre alten Mädchen, die es im Leben schlecht getroffen hat und die in einem Moment der geistigen Umnachtung und des Zorns einen unwiderruflichen Fehler begangen hat, wodurch sie durch einen königlichen Beschluss zu einem sicheren Tod verurteilt wird. Aalis befindet sich also auf der Flucht als ihr Weg den des Andreas Saint-Loup und seinem Lehrling Robin kreuzt.

Eine spannende Suche, ein immer verwirrender werdendes Rätsel…

Diese Suche nach dem Schlüssel zu dem Mysterium wird Andreas zu den Anhängern der schola gnostica führen, deren Glauben von der Kirche geächtet wird und deren Mitglieder unserem Apotheker auf seine Fragen mit weiteren antworten, was ihm fast seine gesamte Geduld kostet.

Eine fast spirituelle Suche, die Andreas Saint-Loup hier fast gegen seinen Willen unternimmt, und die es ihm ermöglicht zu reisen, einigen recht farbigen Figuren zu begegnen, von denen einige real (aber natürlich in Romanform beschrieben) und andere fiktiv sind.

 

Also, was sind die positiven und die negativen Punkte des Romans?

 

Ein fast perfekter Plot:

Dieser dreizehnte Roman des Autors – aber sein erster historischer Roman – zieht uns also in eine meisterhaft geführte Handlung.

Ich muss zugeben, dass ich zunächst Schwierigkeiten hatte in die Geschichte zu finden, denn zwei Punkte haben mich gestört – zwei Punkte, die ich gleich erwähnen werde. Aber ich konnte schließlich nicht anders als mich in diese mysteriöse Reise mitreißen zu lassen, die im Verlauf des Romans und durch die Informationskrümel, die uns Kapitel um Kapitel geschickt zugeworfen werden, immer mehr an Substanz gewinnt.

Einige Punkt finden keine Antwort, aber diese offenbleibenden Fragen sind zum größten Teil logisch. Ich hätte gerne etwas mehr über den wirklichen Grund erfahren, der zu dem Streit zwischen Andreas und dem Abt Boucel geführt hat, der ihn großgezogen hat und der Grund ist, warum er die Kirche so verachtet, ich hätte gerne mehr über Izia gewusst oder auch…. ich werde jetzt aufhören ehe ich noch irgendetwas verrate, was ein Element des Puzzles sein könnte.

Also, fast perfekt was den Plot betrifft.

Aber es gibt da Punkte, die mir weniger zugesagt haben und da wären unter anderem:

 

Romanfiguren, denen es an Tiefe fehlt:

Ja, der Apotheker wird bestens beschrieben, man sieht ihn förmlich vor sich, mit seinem glänzenden Schädel, seinem markanten Gesicht, ich würde ihn auf der Straße erkennen wenn ich ihm begegnen würde. Auch sein manchmal etwas heikler Charakter, ja sogar seine Mimik ist unerkennbar. Eine gut ausgefeilte Romanfigur.

Deswegen ist es ja umso mehr schade, und umso auffälliger, dass sein Lehrling fast fade erscheint, obwohl er zu Beginn wirklich alles hatte was es braucht um aus ihm einen standhaften Charakter zu machen. Ein junger Bauer, der eine Arbeit in irgendeiner Spelunke annehmen musste wo er stets wegen seiner Ungeschicklichkeit getadelt wurde, aber der durch seinen flinken, brillanten und logischen Gedankengang in den Augen des Andreas Saint-Loup leuchtete, ja, dieser Junge sah nach einem Charakter aus, der seines Meisters würdig ist.

Leider wurde dieses Versprechen nicht gehalten und Robin versinkt, trotz seines Widerstands, im Hintergrund und bleibt dort ein einfacher Lehrling.

Und das obwohl es nicht an Gelegenheiten fehlte, die ihn hätten weiterziehen können, da er auch mehrfach die traurige Möglichkeit erhalten wird seinen Mut zu beweisen. Alle Bemühungen sind umsonst, er hebt ab um systematisch sofort wieder der Gleichgültigkeit zu versinken, immer schön im Schatten von Andreas.

Selbst Aalis scheint tiefgründiger, und auch diese Romanfigur hätte mehr Arbeit verdient, mit ihrer schrecklichen Vergangenheit. Sie hätte sehr viel mehr durch ihre besonders grausamen Erlebnisse innerlich zerrissen sein sollen, gleicht aber eigentlich einfach einem cleveren jungen Mädchen. Schon wieder eine verpasste Gelegenheit.

So steht es um alle anderen Romanfiguren – sie alle sind vielversprechend und bleiben genau an diesem Ausgangspunkt stehen, ein Versprechen dazu dient den Apotheker hervorzuheben.

 

Ein guter historischer Roman, dem es jedoch an Nähe fehlt

Historisch gesehen, ist „L’apothicaire“ en wirklich gelungenes Werk, welches seine Handlung um reelle und fiktive Figuren strickt. Dem Autor gelingt es uns über vergangene Geschehnisse, eine historische Figur den zwanzig Jahre später ein schreckliches Ende erwartet oder sonst irgendein Ereignis zu informieren, und sei es auch nur in einem kleinen Nebensatz; kurz, dieser Roman ist historisch gesehen gut ausgearbeitet. Die erwähnten Geschehnisse sind spannend, die Orte die wir aufsuchen interessant, die Ideen der einen und anderen erinnern uns an diese längst vergangene Zeit.

Doch was hier fehlt, das ist eine größere Nähe, was nicht vorhanden ist, das ist die Möglichkeit sich ein wenig mehr in den Alltag dieser Epoche zu versetzen, sich unter das Volk zu mischen. Wie dies auch bei den Romanfiguren der Fall ist, so verspricht uns der Roman auch hier viel… hält dieses Versprechen aber nicht ein.

So begegnen wir zum Beispiel Magala, einer Figur die wie gerne näher kennengelernt hätten und die ganz offensichtlich eine Gelegenheit geboten hat uns weiter in den Alltag eines Mädchens zu führen… und wir gleiten einfach über ihre Erfahrungen hinweg. Wir folgen ja einem Apotheker, doch von ein par trockenen Lektionen abgesehen betreten wir sein Labor nicht, wir werden die Realität seiner Arbeit nicht kennenlernen, auch nicht die derer denen wir begegnen, auch nicht deren Fehler oder Realitäten.

Dabei haben wir oft genug die Möglichkeit, am Rande eines Weges, bei einer Begegnung, eine genauere Vorstellung der damaligen Zeit zu gewinnen, einen kleinen Einblick zu erhaschen, doch jedes Mal gehen wir an der halboffenen Tür vorüber ohne sie aufzustoßen. Wie oft hätte ich ebendies gerne getan, einfach den Kopf durch den Türschlitz stecken, den Gestank zu riechen, doch es bleibt einfach alles zu distanziert. Das hat mich dann doch etwas enttäuscht, ja fast verärgert.

Also, trotz einem gelungenen historischen Hintergrund fehlte hier der letzte schliff, die Nähe, die Wirklichkeit.

 

Eine zu distanzierte Schrift

Henri Loevenbruck liefert uns seine Geschichte mit einer wundervollen Sprache, einer sorgfältigen Schrift, beinahe fehlerlos.

Doch diesem Schreibstiel fehlt es, in meinen Augen, an Wärme, er bleibt fast kalt. Dies ist der Punkt, den ich zu Beginn meines Kommentars erwähnte, der es mir schwer gemacht hat mich wirklich in diesen Roman zu vertiefen, den ich beinahe wieder aus der Hand gelegt hätte – wäre ich nicht so neugierig gewesen, wegen dieses seltsamen vergessenen Raums.

Es ist schwierig zu sagen warum ich dieses Gefühl der Unpersönlichkeit hatte, denn der Autor hat ganz klar eine wunderschöne Feder.

Es fehlt mir aber an Seele, an Farbe vielleicht, dieser Abstand ist es auch den man spürte wenn es um technische Aspekte ging.

Ich werde einmal versuchen ein Beispiel zu geben (nein, keinen Ausschnitt, ein Beispiel): Andreas Saint Loup und Robin befinden sich unterwegs auf einer Straße und beobachten eines Abends eine Wölfin und ihre Kleinen. Dies ist ganz klar die Gelegenheit für eine berührende Szene, eine einmalige Szene und der Autor gibt sich wirklich viel Mühe sie zu beschreiben. Doch trotz seiner Bemühungen bleibt es einfach kalt, ein Bild ohne tiefe, eine Beschreibung, ähnlich einer Audio-Beschreibung für Sehbehinderte bei einem Film, diese Beschreibungen, die uns in einem fast vollkommen neutralen Ton geliefert werden nur um ganz einfach eine Szene darzustellen, ohne jedes Gefühl; wenn Sie schon einmal einen solchen Kommentar gehört haben, wissen Sie was ich meine.

Dieses Bild der Wölfin mit ihren Welpen hätte den Leser zu einem sanften Lächeln bewegen sollen – ich bleibe nun einmal ein Mädchen, das kann man nicht ändern – aber nein. Ich habe die Zeilengelesen, und das war es auch. Keine Emotionen. Nur ein Bild.

So ist es mit allen anderen Beschreibungen auch. Als wir mit Andreas in Borgus ankommen (um ein weiteres Beispiel zu geben) entdecken wir eine Stadt wie durch einen Touristen-Führer, ohne jede Wärme. Ein sicherlich realistisches Bild, aber ein zweidimensionales Bild dort wo wir zumindest auf drei Dimensionen gehofft hatten.

Doch der Autor hat eine Stilfigur benutzt, die es ihm ermöglicht hat die relative Kälte seiner Erzählung einzudämmen: Henri Loevenbruck hat uns, die Leser, mit einbezogen in dem er uns ab und ansprach, und mehr oder weniger direkt etwas zurief: „Stellen Sie sich hier eine okzitanische Dorfbewohnerin vor, wie sie damals so waren….“, „Hier muss uns der Leser verzeihen, denn um ihn aufzuklären werden wir es uns erlauben eine wenig abzuschweifen….“, „Unsere Leser folgen uns nun über dieser bewaldeten Anhöhen der Felsheide…“

Dies hätte nun genauso gut lästig werden können, doch ich fand hierdurch ein wenig Menschlichkeit in der Schrift des Henri Loevenbruck, was ihr ein wenig fehlte, also war das wohl eine Technik die zu seinem Stil passte, und er übertreibt es damit wirklich nicht. Er nutzt es nur aus um uns ab und zu ein historisches Detail nahezubringen, und ins Herz der Erzählung oder der Aktion miteinzubeziehen, es spürbarer zu machen.

Es kann dennoch sein, dass diese Zurufe den einen oder anderen Leser stören. Mir hat es hier ziemlich gut gepasst.

Um dies alles nun zu beenden möchte ich erwähnen, dass ich das Ende ein wenig zu…. übertrieben fand. Zu viel, zu sehr, zu bewegt, ich weiss nicht, das war mir einfach zu viel.

Aber das Ende, das wirkliche Ende, die grosse Aufdeckung, die hat mich dann wieder überzeugt, das war es also alles ohne jeden Zweifel wert!

Kurzum, ein sehr gelungenes Buch, trotz seiner Schwächen (die nun wirklich nicht so viele sind wie es beim Lesen meines Kommentar scheint).

 

 

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