Nele Neuhaus – Schneewittchen muss sterben

Originaltitel: Schneewittchen muss sterben

Meine Bewertung: 9/10

„Schneewittchen muss sterben“ ist der vierte Fall des Duos  Kirchhoff/Bodenstein.

Was ist denn nun „Schneewittchens“ Geschichte?

Der Roman beginnt fast klassisch, und man bereitet sich also innerlich schon auf die Stereotypen des Genre vor: Nachdem er zehn Jahre in einem Gefängnis verbracht hat, kehrt Tobias Sartorius in sein Heimatdorf in der Nähe von Frankfurt zurück.

Er wurde 1998, als er noch keine zwanzig Jahre alt war, für den Mord an zwei jungen Mädchen aus dem Dorf verurteilt und hat heute keine andere Wahl als hierher zurückzukehren.

Die Opfer standen ihm nahe, es handelte sich um seine Ex-Freundin Laura und seine Freundin Stefanie, die allgemein „Schneewittchen“ genannt wurde. Diese Morde hatten damals das kleine Städtchen erschüttert und mehr als nur eine Familie zerstört.

Als er nun zurückkehrt, steht Tobias vor den Ruinen der Existenz seiner Familie: Seine Eltern haben sich scheiden lassen, das Unternehmen seines Vaters hat Konkurs gemacht und letzterer, während er auf die Rückkehr seines Sohnes wartet, überlebt gerade so im Herzen dieses Ortes voller Vorurteile ihm gegenüber.

Eine Hasswelle schlägt nun über Tobias ein. Er wird beleidigt, die Mauern seines Hauses werden mit boshaften Graffitis verschandelt. Eine Rückkehr zu einem normalen Leben, wie er es sich erhofft hatte, ist unmöglich.  

Was für Tobias umso schwerer zu ertragen ist, da er selbst nicht weiß was damals, vor elf Jahren, geschehen ist. Er ist überzeugt davon, unschuldig zu sein, doch ein kleiner Zweifel nagt dennoch immer noch an ihm.

An jenem schicksalhaften Tag, dem 6. September 1997, hatte er bei dem Dorffest viel getrunken und sich mit seiner Freundin Stefanie gestritten – die am nächsten Tag zusammen mit Laura verschwunden war Tobias kann sich an nichts erinnern. Die Polizei hatte damals Spuren von Laura in seinem Auto gefunden, ihren Rucksack in seinem Zimmer und die wahrscheinliche Tatwaffe, ebenfalls mit Blut von Laura, in der Klärgrube seines Hauses.

Aufgrund dieser Indizien war er zu der maximalen Strafe für Minderjährige verurteilt worden.

Seine Rückkehr ist also alles andere als ruhig, und diese Situation wird nicht besser als gerade jetzt, bei Bauarbeiten unweit des Dorfes, die Überreste Lauras gefunden werden, was die Hassgefühle der Familien wieder aufrührt. Und auch die Fragen…

Alles bricht wieder auf. Der Ort ist in Aufruhr, so dass sogar Tobias’ Mutter angegriffen und von einer Brücke gestoßen wird.

Der Fall des Angriffs auf Tobias’ Mutter sowie die der Entdeckung der Überreste des ersten Opfers werden Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein anvertraut. Schon sehr bald hat Pia den Eindruck, dass die Untersuchungen von 1997 vielleicht nicht ganz so sorgfältig ausgeführt wurden und dass Tobias Sortorius unschuldig sein könnte. Ihr Kollege glaubt da allerdings nicht dran.

In dem kleinen Dorf, in dem jeder jeden kennt, in dem jeder das Geheimnis des Nachbarn kennt, in denen die Generationen einander folgen und sich gleichen, ist es da möglich, dass einer dieser Nachbarn in Wirklichkeit ein Mörder ist, und dass er nun befürchten muss dass der Fall neu aufgerollt wird?

Als ein weiteres junges Mädchen verschwindet, bricht der Vulkan, der in der Gemeinde schon vor sich hin brodelte, schliesslich aus. Das verschwundene Mädchen sah Stefanie nämlich seltsam ähnlich und war in dem Alter, in dem „Schneewittchen“ damals war. Und sie wurde in Begleitung von Tobias gesehen…

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, und erneut ist Tobias der Verdächtige.

 

Auf der Basis eines recht klassischen Plots baut Nele Neuhaus einen spannenden Kriminalroman auf.

Die Autorin vermag es, uns in das Herz dieses Dorfes mitzunehmen, mit seiner Stimmung, seinen Traditionen, seinen Gerüchten, seinen Geheimnissen. Ich bin selbst in einem kleinen Dorf aufgewachsen und habe diese stille Allgegenwärtigkeit der Bewohner der Dorfgemeinde wiedererkannt, die neugierig alles verfolgen, voller Begierde Gerüchten lauschen und sie verbreiten, ja sich sogar an dem Unglück anderer erfreuen während sie eine mitfühlende Miene zur Schau tragen.

Wer ist ein Freund und wer nicht? Das ist bei solchen Bedingungen nicht leicht zu sagen.

Die Autorin stellt uns die verschiedenen Dorfbewohner geschickt vor, wie auch alle anderen Figuren des Romans, wodurch wir uns eine eigene und immer genauere Idee der Situation verschaffen können, und sehen wie sich langsam, ganz langsam, die Konturen der Ereignisse abzeichnen.

Auch wenn die Handlung selbst nicht unbedingt gerade „neu“ ist, schafft es die Autorin geschickt zwischen den Klischees und anderen Hürden zu jonglieren, die das Buch in eine Gruft von Allgemeinplätzen eines „Mord-in-einem-Landdorf-Roman“ hätten stürzen können.

Sie streift auch eine weitere Falle, entgeht ihr aber knapp, einer gefährlichen Falle, die der vielen und schwer zu unterscheidenden Romanfiguren: Auch wenn wieder einmal relativ viele Charaktere, zentrale Figuren oder auch nebensächliche, in diesem Roman zu finden sind, so erlaubt es die sanfte und klare Einführung einer jeden Figur alle gut zu unterscheiden.

Man steigt schnell in die Handlung ein und misstraut jedem. Manche Dinge sind vorhersehbar, andere nicht. Die Indizien werden nach und nach, im Laufe der Seiten eingefädelt, und dadurch findet der Roman ein logisches Ende, welches man mit nur wenigen Seiten Vorsprung auf die Polizei selbst erraten hat.

Dieses Buch ist also der vierte Fall des Duos Kirchhoff/Bodenstein. Ich hatte diese Reihe mit diesem Buch entdeckt und daher möchte ich noch unterstreichen, dass ich keinerlei Schwierigkeiten hatte mit großem Spaß diesen Roman zu lesen, da keine Parallelen zu den vorhergehenden Fällen gezogen werden und man ganz einfach hier in die Reihe einsteigen kann ohne jeden negativen Seiteneffekt oder auch nur ein seltsames Gefühl etwas verpasst zu haben. Natürlich habe ich seitdem aufgeholt und alle bisher erschienene Bücher der Reihe gelesen.

Die Charaktere « Pia Kirchhoff » und « Oliver von Bodenstein » werden wirklich mit Talent geschildert,  ihre jeweiligen Persönlichkeiten und Privatleben werden geschickt in die Handlung eingeflochten, was ihnen ausreichend Relief gibt um den Leser für sie zu interessieren, aber ohne ihn aber zu langweilen.

Es handelt sich hier einfach gesagt um einen außerordentlich gut gelungenen Kriminalroman, mit einem clever aufgebauten Plot und gut ausgefeilten Romanfiguren.

Wenn das Ende auch etwas glatt und wenig überraschend ist, muss ich sagen, dass ich diesen Roman von 532 Seiten in weniger als drei Tagen verschlungen habe.

 

Die bisherigen Romane der Taunus-Krimi-Reihe*:

  • Eine unbeliebte Frau
  • Mordsfreunde
  • Tiefe Wunden
  • Schneewittchen muss sterben
  • Wer Wind sät
  • Böser Wolf
  • Die Lebenden und die Toten

* Sollte diese Liste nicht mehr aktuell sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir kurz eine kleine Nachricht senden könnten

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